8. Dezember 1916 Feldpostbrief von Karl Leibenzeder
 
 
 
 
 
 
 
 
     
 
         
   

Den 8. Dezember 1916.

Sehr geehrter Herr Pfarrer!

Heute endlich komme ich dazu, den längst versprochenen Brief zu schreiben. Der sehr reichhaltige Dienst erlaubte dies bisher immer nicht. Daß wir am 8. November infolge Überschwemmung unsere bisherige vorderste Linie räumen mußten und uns auf weiter zurückgelegenen Stützpunkten festsetzten, wird Ihnen wohl meine liebe Frau gesagt haben. Der durch diese Veränderung notwendig gewordene Dienst ist nun auch bedeutend abwechslungsreicher. Es werden von unseren Stützpunkten aus, die deutsche Namen tragen, z.B. Starnberg, Sendling, Dachau, Bayern etc., Patrouillen gegen die engl. Stellungen rsp. in unsern verlassenen Graben vorgetrieben mit der Aufgabe, dem Gegner durch Abschießen von Leuchtkugeln & Gewehrschüssen vorzutäuschen, als ob wir noch in unserer alten Stellung wären. Der ganze Dienst ist also Patrouillendienst. Zugleich haben unsere Patrouillen noch die Aufgabe, der verlassenen 1. Linie möglichst viel Material zu entreißen, das infolge des rapid aufgetretenen Hochwassers nicht mehr geborgen werden konnte.

Es ist vieles aber sehr schwer, da unser früherer Graben bis zu 1,20 m unter Wasser steht. Sämtliche Unterstände sind zusammengefallen, wie überhaupt, an eine Wiederbesetzung dieser Linie wohl nicht mehr zu denken sein wird. Wir haben auch gar keine Sehnsucht nach diesem Minenloch, wiewohl ja dieser jetzige Dienst infolge des heftigen M.G.Feuers gar nicht so ungefährlich ist. Es gab dabei bereits Tote & Verwundete. Eine Patrouille muß immer 4 Stunden vorne bleiben, bei der jetzigen Witterung eine sehr lange Zeit, dazu gegen feindliches Feuer keine andere Deckung als der blanke Erdboden. Wie man da ausschaut, können Sie sich wohl denken. Dazu die Finsternis! Ein Minenloch neben dem andern, voll von Wasser, eine Unmasse von Gräben, deren größter der sogenannte Leierbach ist mit einer Tiefe von 1,50 m & einer Breite von ca. 2,20 m, lauter Hindernisse, die eben gerade zur Nachtzeit sehr gefährlich sind. Doch ist mir außer einem allerdings recht unlieben Wasserbad Gottlob noch nichts passiert. Die Stiefel voll Wasser gehören bei diesen Patrouillen-Gängen zur Nachtordnung. Doch wenn es immer damit abgeht, will ich recht zufrieden sein.

Unsere Diensteinteilung, ich meine Ruhe, Bereitschaft & Stellung, wechselt fast jedesmal, sodaß ich hierüber nichts Näheres mitteilen kann. Diesmal waren wir 3 Tage in Stellung, 3 Tage in Bereitschaft & 6 Tage in Ruhe, wovon heute der 2. Ruhetag ist. In Ruhe sind wir in Santes, etwa 7 – 8 km südwestlich Lille. Wir sind hier in einer großen Zuckerfabrik untergebracht. Der Dienst in der Ruhestellung ist sehr strammes Exerzieren. Am 13. früh geht’s wieder weg.

Weihnachten feiern wir in Stellung, d.h. wir sind um diese Zeit in vorderster Linie, womit die Stützpunkte nun bezeichnet werden. Die Weihnachtsfeier selbst halten wir noch bevor wir in Stellung marschieren. Und da hätte ich nun eine große Bitte an Sie, sehr geehrter Herr Pfarrer. Ich bin nämlich von meinem Herrn Kompanieführer, einem Theologen (Lt. Düll) beauftragt, den musikalischen Teil unserer Weihnachtsfeier zu übernehmen. Ich möchte nun aber mit sangeskundigen Leuten aus der Kompanie (darunter auch 4 Kollegen, Schulpraktikanten) einzelne Lieder 4-stimmig singen. Leider fehlt mir aber dazu das Material. Ich möchte gerne: Stille Nacht, O du fröhliche, Wir treten zum Beten & vielleicht noch einen Weihnachtschoral singen, etwa: Dies ist die Nacht usw. Selbstverständlich ist mir anderes ebenso erwünscht. Es sollen eben leichte Sachen sein, da ja die Zeit zum Einüben reichlich kurz ist. Nun erlaube ich mir, sehr geehrter Herr Pfarrer, die erg. Bitte zu stellen, ob Sie nicht vielleicht etwas Passendes besorgen oder am Ende bereits auf Lager hätten. Wenn ich nur Partitur und Text hätte, vervielfältigen wollen wir es gerne selbst. Das winterliche Dankgebet muß beim Gesangverein Kelchbehälter(?) liegen, da ich es schon in der Kirche gesungen habe. Sollten Sie vielleicht in einem Büchlein etwas derartiges haben und es mir zu diesem Zwecke zur Verfügung stellen wollen, wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Das Geliehene würde selbstverständlich sofort wieder zurückgesandt. Ich werde nächsten Sonntag auch nach Lille fahren und mich dort erkundigen, ob mit Erfolg? Jedenfalls bin ich Ihnen für Ihre Bemühungen von Herzen dankbar. Eventuelle Auslagen werden selbstverständlich vergütet.

Die beiliegende Karte der Elisabeth ins Album. Am Sonntag hole ich mir in Lille meine Bilder & folgt dann am Montag die lange versprochene Photographie.

Was hält man denn in der lieben Heimat vom Frieden?

Wir mußten gestern von unseren Helmüberzügen die Nummern entfernen, heute unser Soldbuch einliefern und bekommen in den nächsten Tagen Stahlhelme, wogegen wir unsere Lederhelme einliefern müssen. Was dies alles zu bedeuten hat, weiß ich nicht. Kommen wir etwa fort?

Für heute Schluß. Verzeihen Sie die schlechte Schrift, es pressierte sehr, da es bereits spät ist und wir morgen früh Nachtübung im Bataillon haben. (5:45 Uhr früh)

Recht gute Besserung Ihren kleinen Patienten.

Herzliche Grüße Ihnen und all Ihren lieben Angehörigen

Ihr ergebener
K. Leibenzeder.

(Die meisten Abkürzungen wurden hier ausgeschrieben.)

   
         
 
     
 
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