Adam Christian Ludwig Dietzfelbinger
30. Mai 1904 - 2. Februar 1910
Aufzeichnungen von Magdalena Dietzfelbinger, geb. Nicol über das kurze Leben ihres Sohnes
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Nervenarzt Dr. von Rad in Nürnberg, der nun zu Rat gezogen wurde, erklärte, dieser Druck sei entweder durch Wasser oder durch eine Geschwulst im Gehirn verursacht und verordnete eine Quecksilber- und Jod-Kur. Nachmittags 4 Uhr kamen die beiden zurück, Ludwig ganz heiter, sein Vater voll schwerer Sorge, die sich, nachdem ich alles erfahren, auch mir mitteilte.

In dieser Nacht lauschte ich voller Angst seinen Atemzügen wie damals in der ersten Zeit seines Lebens. Nun wechselten gute und schlimme Tage ab; wie sind uns diese sieben Tage im Gedächtnis geblieben! Von Dietenhofen kam fast jeden Tag jemand, entweder der Großvater oder Onkel Wilhelm, um sich nach Ludwig umzusehen. Ludwig schrieb noch voll Eifer einen Wunschzettel fürs Christkind und stand stets in Erwartung des Pelzmärtels. Da wir aber von einem Besuch desselben schädliche Aufregung für Ludwig befürchteten, wir aber doch die Kinder nicht ganz um das Vergnügen bringen wollten, wurde die Sache einfacher gemacht.

Der Papa kam eines Abends vom Wald heim und erzählte den Kindern, dass ihm der Pelzmärtel begegnet sei. Wie gespannt lauschten sie da, und Ludwigs glänzende Augen hingen an seines Vaters Mund. Als dieser das Brummen des Pelzmärtels nachmachte und als er nun gar für jedes Kind ein kleines, ihm vom Pelzmärtel übergebenes Paketchen mit süßem Inhalt aus der Tasche zog, war der Jubel groß.

Dies war eine seiner letzten kleinen Freuden zu Hause. In der Nacht vom 12. auf den 13. November kamen wieder heftige Schmerzen; sie dauerten länger als je und wurden immer ärger; den ganzen Samstag-Vormittag jammerte er und rief nur immer „Mama, Mama“. Kaum dachte ich, er sei ein bisschen eingeschlummert, so ging es wiederum. Gegen 12 Uhr Mittag erreichte die Qual den Höhepunkt; diese Angst in seinen Augen, wenn er im Bett aufsprang, sich an mich klammerte und nur „Mama, mama“ rief oder „geschwind, geschwind!“ Es war entsetzlich. Mein armes, armes Kind! Endlich kam Bewusstlosigkeit, Ludwig lag totenbleich im Bett.

Wir schickten zum Arzt, wir schickten einen Wagen nach Dietenhofen, der die Großeltern bringen sollte. Als der Arzt kam, sagte er, die Sache sei bedenklich, akute Steigerung des Hirndrucks, es sei wohl die Zeit für einen operativen Eingriff da, zu welchem Zweck man Ludwig in eine Klinik bringen müsse, am besten nach Erlangen.

Als die Großeltern kamen, waren wir schon zur Reise gerüstet, auch Ludwig, dessen Bewusstlosigkeit allmählich in Schlaf übergegangen war, lag angekleidet im Bett. Dann kam der Wagen, ich trug mein Kind in Betten gehüllt hinein, so fuhren wir mit ihm ab, abends um 6 Uhr in der Dunkelheit – eine schauerliche Fahrt. Unterwegs erwachte Ludwig und war bei sich, sprach auch etwas und wunderte sich, wo wir seien; wir waren so froh, denn wir hatten für sein Leben gefürchtet. Ich sagte ihm, dass wir nach Erlangen reisten und dass er in ein schönes Haus zu vielen Kindern kommen werde.

Endlich um 1/2 11 Uhr waren wir vor der Klinik. Schwestern kamen heraus und trugen Ludwig ins Haus, wir gingen mit und sahen noch, wie er in ein Bettchen gelegt wurde. Dann mussten wir uns von ihm trennen. Die Zeit, die nun folgte, war die schwerste und traurigste unseres Lebens.

Am nächsten Morgen, einem Sonntag, suchte ich meinen Bruder Dietrich auf, um ihm alles mitzuteilen. Wir gingen dann alle drei in die Klinik, da saß unser Ludwiglein in seinem Bett, schon in Anstaltswäsche gekleidet, was mir einen Stich durchs Herz gab; Ludwig hatte gut geschlafen, aber er fühlte sich fremd und sehnte sich nach uns. Zwei andere Kinder waren mit im Zimmer, ein Zehnjähriger und ein dreijähriges Mädchen, das letztere ist durch lange Wochen seine Gefährtin gewesen.

 
     
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