Adam Christian Ludwig Dietzfelbinger
30. Mai 1904 - 2. Februar 1910
Aufzeichnungen von Magdalena Dietzfelbinger, geb. Nicol über das kurze Leben ihres Sohnes
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Wieder trugen wir ihn zum Wagen, ich hielt ihn fest die ganze Reise auf meinem Schoß. Als der Wagen stieß auf dem holprigen Weg, sagte ich, da würde die Mädi lachen. „Ich lachet auch, wenn ich g’sund wär“ meinte er da. In der Klinik wurde er recht liebevoll empfangen, er kam gleich wieder ins Bett, und wir gingen bald fort, nachdem wir noch den Professor gesprochen hatten. Der Abschied fiel ihm nicht leicht, er fragte, ob bald wieder Montag sei, und ich versprach ihm, bald zu kommen. Anfang Januar sollte er operiert werden.

Ich hatte zu Hause kaum Ruhe und reiste am Neujahrstag nach Erlangen, wo ich mein Büblein müde und gelangweilt im Bett liegen fand. Wie fuhr er aber in die Höhe und wurde munter, als ich kam! Ich sagte ihm, der Papa käme morgen auch, und wir blieben nun lange in Erlangen und wohnten ganz nahe bei ihm. Noch ein paar Tage hatten wir unsern Ludwig, wie wir ihn gewohnt waren, frisch und munter, die letzten Tage! Auf Dienstag, 4. Januar war die Operation festgesetzt.

Als ich früh in die Klinik kam, hörte ich schon unten seine muntere Stimme: „No, die Mama, die schläft aber heut lang!“ Er war sehr befriedigt, als ich alsbald zu ihm kam. Nicht lange durften wir bei ihm sein, um 11 Uhr mussten wir den schweren Abschied nehmen. Ich betete noch mit ihm, dann wollten wir gehen. Plötzlich fing Ludwig an zu weinen, so bitterlich, wie er sonst nie getan, er wollte sich gar nicht trösten lassen, als ahne er, dass wir ihn so nicht mehr sehen würden. Und wir mussten ihn verlassen in der schweren schweren Stunde, der er entgegen ging, und von der er nichts wusste. Unsere Gebete aber um das teure Leben stiegen empor zu Gott, es war nur ein einziges Seufzen. Und alle unsere Lieben wussten wir mit uns im Gebet vereint. –

Die Operation ging gut vorüber; man hatte im Gehirn eine ziemlich große Menge Flüssigkeit gefunden und diese entfernt. Als wir zitternd in die Klinik kamen, kam der Professor uns entgegen und ersuchte uns, jetzt nicht zu ihm zu gehen, er müsse schlafen. So irrten wir dann stundenlang in der Stadt umher, bis wir um 5 Uhr zu unserm Kinde gingen.

Welch ein Wiedersehen! Die Tür stand offen, und er hatte mich sofort erblickt, rief Mama, Mama, und weinte. Ich nahm sein Händlein und küsste es und beruhigte ihn. Er zog an meinem Handschuh und sagte: dableiben! Was hätte ich darum gegeben, wenn ich das gedurft hätte! Aber wir mussten wieder fort und er rief die ganze Nacht vergeblich nach seiner Mama.

Am andern Morgen wagten wir nicht gleich hineinzugehen, wir sahen durchs Schlüsselloch, er lag ruhig und schien zu schlafen. Dann sah er mich durch den Türspalt und rief gleich wieder nach mir und nun blieb ich an seinem Bett. Er war verhältnismäßig wohl, aber er sah totenbleich aus, und der Kopf war dick verbunden. Reden konnte er nur mit Anstrengung, aber er wollte sogar sitzen. Die Ärzte waren ganz zufrieden.

Am Tag darauf kam Fieber, er war ganz erregt und hatte viel Durst, auch Brechen stellte sich ein. Die Ärzte glaubten, es sei eine Gehirnhautentzündung, aber am andern Tag fiel das Fieber mehr und mehr. Wir atmeten auf und schöpften neue Hoffnung. Wilhelm musste abreisen, ich wollte noch warten, bis die größte Gefahr vorüber sei. Ludwig schien sich etwas zu erholen, aber er hatte Schmerzen in den Gliedern. Er schlummerte viel, und dann stand ich stundenlang am Bett und sah ihn an.

Am Sonntag morgen kam ich, als er gebadet wurde; da schrie er laut beim Umbetten und das Gesichtchen war schmerzlich verzogen. Dann, während die Schwestern in die Kirche gingen und ich mit ihm allein war, schlief er tief und fest, und daraufhin schien er nachmittags ganz frisch. Er klagte wenig, verlangte zu spielen und sprach sogar ein paar Worte. Ganz glücklich war ich an diesem Abend, als die Klinik verließ, ich glaubte, dass nun alles gut werden und wollte am andern Tag abreisen. Mit dieser Zuversicht im Herzen. Aber es kam wieder anders.

 
     
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