Adam Christian Ludwig Dietzfelbinger
30. Mai 1904 - 2. Februar 1910
Aufzeichnungen von Magdalena Dietzfelbinger, geb. Nicol über das kurze Leben ihres Sohnes
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Was mein Kind zuerst ersonnen, gespielt und gesungen hat:
 
     
 
„Bubi klein geht allein in die weite Welt hinein“ deklamiert („singt“ wäre zu viel gesagt) der kleine Mann ganz schön. Für Poesie scheint er Sinn zu haben, weil er die Reimlein sehr leicht behält. Bei den Worten „Aber Mama weinet sehr“ macht der Schelm ein dieser traurigen Begebenheit angemessenes schmerzerfülltes Gesichtlein. Auch an „Kuckuck Kuckuck“ probiert er seine Sangeskunst. Er ist ein großer Freund von Bilderbüchern, besonders, wenn recht viele „Hottogaul“ drin sind. Auch mit „Häusle baun“ beschäftigt er sich sehr gern, er hat dazu eine Unmenge von Garnrollen und Holzklötzchen nötig. Die Schiffsbaukunst steht bei ihm in voller Blüte: er nimmt ein Stück Papier in die Hand, zerknittert es und drückt es nach Leibeskräften zusammen und ruft dann voller Stolz: „Schiff macht! Schau her, das ist ein schönes Schiff!“ Auch Eisenbahnen konstruiert er mit großer Fertigkeit aus Wäscheklammern oder Spargeltragen. Sein Sprechanismus ist sehr entwickelt, er fühlt stets das Bedürfnis, die Leute zu unterhalten. Langsam kann er nicht gehen; es geht immer im Galopp, wobei ich ihn neulich so für sich sagen hörte: „Immer langsam“, sagt der Papa!“ Stolpert er, so vergisst er nie zu bemerken: So geht’s! Wenn er aber dabei zu Fall kommt oder einen tüchtigen „Hutzibock“ macht, so ist „bloß eine Zigarr“ das beste Heilmittel. Wenn der Papa mich ersucht, auf den Schlingel aufzupassen, so versichert er treuherzig „ich pass schon auf!“ In seinem Element ist er, wenn er als Geburtstagsgratulant auftreten kann. An meinem Geburtstag gab er sich diesem Vergnügen nach Herzenslust hin und rief von früh bis spät: ich gratulier, Mama, ich gratulier, Mama! Auch hatte er mir schon vorher verraten, dass beim Papa droben eine „schöne Blum“ sei, so dass ich also dieser Überraschung nicht allzu unvorbereitet gegenüberstand.

(„Papa kann’s mach!“ mit diesem Sprüchlein tröstet er sich bei jedem Ungemach, besonders wenn er irgend was kaputt gemacht hat.)

Am 23. April 1906 wurde unserem kleine Ludwig ein Schwesterlein beschert. Sehr erfreut betrachtete er das kleine Wesen, als es bei dieser Vorstellung aus Leibeskräften zu schreien anfing, stellte er sich breitspurig vor den kleinen Schreihals hin und sagte bei jeder Pause im Schreien: „Noch mal!“, welchem Kommando das Schwesterchen pünktlich und bereitwillig Folge leistete. Nach kurzer Zeit hatte er sich aber schon so an diese schwesterlichen Konzerte gewöhnt, dass sie ihm gar nicht mehr imponierten. Möchte doch das geschwisterliche Verhältnis zwischen den beiden ein recht inniges werden! An Schwesterleins Tauftag war der kleine Mann sehr erfreut über die „viel Leut,“ die in die „Kärch“ gingen. Auf Befragen teilte er sehr schön den Namen des Schwesterleins mit „Elisabeth“ und setzt dann befriedigt hinzu: „So war’s schön!“ Drollig ist es, mit welch mitleidiger Zärtlichkeit er die Kleine behandelt, er streichelt und liebkost sie, nur manchmal ein wenig zu stürmisch. Im Gefühl seiner männlichen Würde blickt er ganz erhaben und überlegen auf „das winzig kleine Mädätät“ herab, er der große Mann.“ Diese männliche Würde hindert ihn aber nicht, seine Höschen in höchst unwürdiger Weise zu entweihen, was ihm viele „Bitsch“ einträgt – ein Übel, das er wieder mit derselben männlichen Würde zu tragen weiß. Er ist aber jetzt wirklich ein „großer Mann“ und stets mein Begleiter auf Spaziergängen, wobei ich für Unterhaltung nicht zu sorgen brauche.

Juli – Dem kleinen Mann geht mehr und mehr das Verständnis für die Reize des Lebens auf. Er macht jüngst die Entdeckung, dass die Erdbeeren im Garten Früchte von nicht zu unterschätzendem Wohlgeschmack sind und leistet Großes im Vertilgen derselben. Auch die Kirschen hat er für essbar erklärt. – Seit Weihnachten 1906, wo das Christkind die Tiefenbachschen Kinderlieder brachte, singt Ludwig mit großer Begeisterung; es ist wirklich ein Spaß, ihn dabei anzusehen, wie er stets mit gefalteten Händen u. immer von einem Fuß auf den anderen tretend, seine Lieder singt: „Frau Schwalbe“, „Herr Postillion“, „Sitzt ein Häslein.“ Sein Lieblingslied aber ist „Herr Storch steht eben auf dem Haus.“

 
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